Kritik der Biosoziologie (Promp)

Freitag, 23. Januar 2009 um 00:33 Uhr Michael Lenz
Drucken

 

 

 

 

Artikel als pdf: Artikel als pdf


Universität Bielefeld, Fakultät für Pädagogik

Sommersemester 1993

Hausarbeit

Ein Kritikversuch des biosoziologischen Sozialisationsansatzes nach Promp
unter besonderer Berücksichtigung der Anlage-Umwelt-Problematik,
sowie im Vergleich mit psychologischen und soziologischen Basistheorien


 

Gliederung

Vorwort

Einleitung (1)

Vorstellung des biosoziologischen Ansatzes nach Promp (2)

Anthropologische Grundlagen (2.1)

Grundannahmen der Biosoziologie (2.2)

Sozialisation als ontogenetischer Prozeß (2.3)

Kritik des biosoziologischen Ansatzes (3)

Beurteilung aufgrund der Anforderungen an eine Sozialisationstheorie (4)

Vergleich mit anderen Sozialisationstheorien (5)

Vergleich mit psychologischen Basistheorien (5.1)

Vergleich mit soziologischen Basistheorien (5.2)

Vergleich mit theorieverbindenden Ansätzen (5.3)

Einordnung und Kritik des biosoziologischen Ansatzes vor dem Hintergrund der Anlage-Umwelt-Problematik (6)

Zusammenfassung und abschließende Beurteilung (7)

Anmerkungen

Literatur

 

Vorwort

Mit dem biosoziologischen Ansatz von Detlef Promp liegt ein Konzept vor, das in allen seinen Teilen höchst komplex ist. Da der Ansatz auf Erkenntnisse mehrerer wissenschaftlicher Disziplinen zurückgreift, setzt Promp an vielen Stellen die Vertrautheit mit biologischen Grundbegriffen voraus, so daß dies auch für diese Hausarbeit gelten muß. Bei der Vorstellung der Grundaussagen des Ansatzes ist jedoch versucht worden, die angesprochenen Sachverhalte möglichst verständlich zu schildern, was allerdings auch zu einer Erweiterung des Umfangs der Hausarbeit führen mußte. Trotzdem konnten - nicht zuletzt aus Gründen des Umfangs - einige Themen und Grundbegriffe, wie zum Beispiel Instinktverhalten oder Lerntheorien, nicht ausführlich dargestellt werden. In diesem Zusammenhang kann nur auf den Ansatz Promps selbst oder die biologische Fachliteratur verwiesen werden.

Es soll an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, daß, um eine fließendere Argumentationsweise zu erreichen, unter den Gliederungspunkten 2.1 und 2.2 bei der Vorstellung der anthropologischen Grundlagen und Grundannahmen des biosoziologischen Ansatzes schon erste kritische Anmerkungen in die Argumentation einfließen, sodaß unter Punkt 3 die Kritik der unter 2.3 vorgestellten Hauptthesen des biosoziologischen Ansatzes ohne Rückgriffe auf die Grundlagen erfolgen kann.

Aufgrund der Tatsache, daß die Diskussion um die Soziobiologie oft stark politisch-ideologische Ausmaße annimmt, ist auf einen speziellen Gliederungspunkt zur Einordnung des biosoziologischen Ansatzes in die Diskussion um die Soziobiologie verzichtet worden. Es fließen jedoch immer wieder Argumente, die aus dieser Diskussion entstammen, unter anderen Gliederungspunkten in die Argumentation ein (z.B. unter 2.1, 2.2 und 7).

Bad Salzuflen, 21.9.1993

Michael Lenz

 

Einleitung (1)

Diese Hausarbeit soll sich mit dem biosoziologischen Ansatz von Detlef Promp auseinandersetzen, einem Versuch, "ein Sozialisationskonzept - zumindest ansatzweise - auf verhaltensbiologischer Basis zu entwickeln" (Promp, 1990, S.7). Eines der Grundanliegen dieser Arbeit wird es daher sein, herauszufinden, ob bzw. inwieweit es Promp mit diesem Ansatz gelingt, Biologie und Sozialwissenschaften einander näherzubringen.

Laut Thema soll außerdem der Versuch einer Kritik dieses biosoziologischen Ansatzes unternommen werden. Dabei wird zunächst einmal der Ansatz in seinen zentralen Annahmen vorzustellen sein. Anschließend sollen die Grundannahmen sowie auch das gesamte theoretische Konzept einer Prüfung hinsichtlich der Schlüssigkeit der Argumente und hinsichtlich offenbleibender Fragen unterzogen werden.

Für die Beurteilung des biosoziologischen Konzeptes ist außerdem von entscheidender Bedeutung, inwieweit dieser Ansatz den Anforderungen an eine Sozialisationstheorie entspricht. Daher soll nach der kritischen Betrachtung der Hauptthesen untersucht werden, ob man in bezug auf den biosoziologischen Ansatz überhaupt von einer Sozialisationstheorie sprechen kann.

Anschließend soll dieser Ansatz mit verschiedenen Basistheorien der Sozialisation, die in Psychologie und Soziologie ihren Ursprung haben, verglichen werden, zum einen, um eventuelle Gemeinsamkeiten oder Bezugspunkte herauszufinden, und zum anderen, um zu zeigen, was an dieser Theorie neu ist bzw. wodurch sich diese Theorie auszeichnet.

Da es sich bei dem biosoziologischen Ansatz um ein Konzept handelt, das sich überwiegend auf Erkenntnisse der Biologie stützt, und da sich Promp in seinem Ansatz unter anderem mit dem Ursprung menschlicher Verhaltensweisen auseinandersetzt, soll versucht werden, diesen Ansatz vor dem Hintergrund der Anlage-Umwelt-Problematik in die aktuelle Diskussion einzuordnen.

Abschließend sollen noch einmal die Hauptergebnisse zusammengefaßt werden und außerdem der Versuch gemacht werden, auf diese Ergebnisse aufbauend zu einer Beurteilung des biosoziologischen Ansatzes zu gelangen.


 

Vorstellung des biosoziologischen Ansatzes nach Promp (2)

Anthropologische Grundlagen (2.1)

Promp geht zunächst davon aus, daß "allen Sozialisationskonzepten und -theorien anthropologische Prämissen zugrunde" liegen (Promp, 1990, S.12; in Anlehnung an Griese, 1976, S.15). Da jedoch die philosophische Anthropologie, die mit Namen wie Herder, Gehlen oder Portmann verbunden ist, "praktisch den biologischen Kenntnisstand der 40er Jahre konserviert" (Promp, 1990, S.15), fordert Promp eine naturwissenschaftliche Anthropologie, die sich an den neusten biologischen Erkenntnissen orientiert (vgl. ebd., S.15 f. und S.34). Zunächst stellt Promp jedoch die Grundannahmen der philosophischen Anthropologie in der Form von zehn anthropologischen Kriterien dar, wobei er sich auf die "Pädagogische Soziologie - begründet von Carl Weiß" in der Neufassung von Eggers und Steinbacher stützt (Eggers u. Steinbacher, 1979). Demnach sei der Mensch durch "Unspezialisiertheit", "Instinktarmut" und "Weltoffenheit" charakterisiert. Er sei eigentlich als "physiologische Frühgeburt" zu bezeichnen, da er ein "extrauterines Frühjahr" durchzustehen habe. Außerdem sei er gekennzeichnet durch "Imaginationsfähigkeit", "Kultursprache", "Einsicht in Zweck-Mittel-Zusammenhänge" und "Kunst". Aus seiner "Unfestgelegtheit" ergebe sich weiterhin ein Angewiesensein auf Sozialisation und Erziehung (vgl. Promp, 1990, S.15-21). Promp schildert jedoch nicht nur diese anthropologischen Kriterien, sondern setzt sich mit jedem einzelnen "Axiom" der philosophischen Anthropologie argumentativ auseinander und stellt einigen Kriterien neuere biologische Lehrmeinungen gegenüber, wie zum Beispiel der These, der Mensch sei ein "sekundärer Nesthocker" die Bezeichnung des Menschen als "ehemaligen Tragling" (vgl. ebd., S. 18). Durch die kritische Auseinandersetzung mit der philosophischen Anthropologie ergibt sich für Promp die

"Notwendigkeit (...), durch den Rückgriff auf die neueren Erkenntnisse der Verhaltensbiologie die anthropologische Begründung des Sozialisationsphänomens in eine dem derzeitigen Forschungsstand angemessene Form zu bringen." (ebd., S.34).

Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß sich Promp durch die Auseinandersetzung mit der philosophischen Anthropologie für seinen eigenen Sozialisationsansatz anthropologische Grundlagen schafft, die der Forderung nach einer naturwissenschaftlich ausgerichteten Anthropologie eher entsprechen.

An dieser Stelle soll mit der Beschreibung des Ansatzes von Promp kurz eingehalten werden, um auf einige grundsätzliche Fragen hinzuweisen:

Da die anthropologischen Prämissen, die Promp aufstellt, die Grundlage für seinen Sozialisationsansatz bilden, ist zunächst zu fragen, inwieweit die philosophische Anthropologie heute wirklich als "nicht mehr zeitgemäß" gilt. An dieser Stelle sei auf Rudolf Hernegger verwiesen, der als Vertreter einer evolutionären Anthropologie zu folgendem Schluß kommt:

"Viele Jahre galten die von Gehlen eingeführten Begriffe 'Instinktentlastung', 'Mängelwesen', 'offenes unspezialisiertes Wesen', als Schlüsselbegriffe der Anthropologie. Inzwischen wird allgemein anerkannt, daß die Instinktentlastung kein spezifisches Kennzeichen des Menschen ist und daß ihre komplementäre Ergänzung nicht in einer unspezialisierten Offenheit, sondern in der Disposition zu neuen Lernstrategien besteht." (Hernegger, 1989, S.12). [1]

Hernegger sieht die philosophische Anthropologie also auch sehr kritisch und hält sie, wie auch Promp, für nicht mehr zeitgemäß. [2] Er gibt jedoch zugleich zu denken, daß "bei der heutigen Explosion des Wissens (...) es für den einzelnen immer schwerer (wird), den neuesten Forschungsstand in allen Disziplinen zu überblicken, die sich mit einem Aspekt oder Teilgebiet des Systems 'Mensch' beschäftigen" (Hernegger, 1989, S.30). [3] Vor dieser Tatsache sowie vor dem Prozeß der zuweilen sehr schnellen Ablösung älterer durch neuere Erkenntnisse bleibt natürlich auch Promps Konzept nicht verschont.

Es läßt sich also feststellen, daß Promps Kritik an der philosophischen Anthropologie durchaus als berechtigt anzusehen ist. Allerdings kann man bei Promp keinen direkten Hinweis darauf finden, daß auch andere Autoren oder sogar anthropologische Richtungen die philosophische Anthropologie ebenfalls stark kritisieren.

In Hinblick auf die oben genannte Wissensexpansion in den Humanwissenschaften wird jedoch später noch zu beurteilen sein, inwieweit Promp bei seinem Versuch, eine Sozialisationstheorie auf soziobiologischer Basis zu erstellen, auf Grund der Informationsfülle zu Reduktionen gezwungen wird.

Ebenso wird zu fragen sein, ob sich aus diesen anthropologischen Grundsätzen ein biosoziologischer Ansatz zwangsläufig ergibt, oder ob diese nicht auch mit anderen Sozialisationstheorien koppelbar sind.

 

Grundannahmen der Biosoziologie (2.2)

Nachdem im vorangehenden Punkt die anthropologischen Grundlagen des biosoziologischen Ansatzes vorgestellt worden sind, sollen an dieser Stelle noch einige weitere Grundannahmen genannt werden, bevor das biosoziologische Konzept in seinen Einzelheiten behandelt wird.

Promp knüpft mit seinem Verständnis von Sozialisation eng an Hurrelmann an und geht zunächst von einem "weitgefaßten Begriff für den Prozeß der Vergesellschaftung der menschlichen Natur" aus (Hurrelmann, 1976, S.15 f.), der sowohl "Erziehung im weitesten Sinn", die Persönlichkeitsentwicklung des Individuums und die "Vermittlung von gesellschaftlichen Normen und Handlungsmustern" (ebd.) einbezieht und somit "Vergesellschaftung und Individuierung gleichermaßen umfaßt" (Mühlbauer, 1980, S.25). Desweiteren bezeichnet Promp seine Betrachtung von Sozialisation als "biosoziologisch", um Verwechslungen mit der philosophischen Anthropologie auszuschließen. Seine "Soziologie, die aus dieser Perspektive betrieben wird, (bezeichnet er als) Biosoziologie (...)" (Promp, 1990, S.22), da dieser Begriff bisher nicht klar definiert und nur selten gebraucht wurde. Zu den biosoziologischen Grundannahmen gehört, daß "die menschliche Spezies (...) als Teil der belebten Natur auf dem Wege natürlicher Entwicklung entstanden (ist)" (ebd.; Hervorhebung durch M.L.) und "(n)ach den Erkenntnissen der Biologie (...) allgemeine und spezielle biologische Gesetzmäßigkeiten auch für die Spezies Mensch als gültig anzunehmen (sind)" (ebd.; Hervorhebung durch M.L.).

Weiterhin geht Promp in Anlehnung an Koestler von einer geschachtelten bzw. hierarchischen Realität aus, die aus offenen hierarchischen Systemen (OHS) besteht, die allesamt Subsysteme des Gesamtsystems 'Kosmos' sind und deren niedrigste Ebene im subatomaren Bereich anzusiedeln ist (vgl. Koestler, 1978). Im Vergleich zu sozialen Systemen mit der institutionellen Ebene über dem Individuum wäre in OHS das Ökosystem als sich selbst regulierendes System die nächsthöhere Ebene für den Organismus. In diesem Ökosystem existieren Beziehungen der Organismen, die ideelle soziale Systeme hervorbringen können, untereinander (entspricht dem sozialen System), sowie Beziehungen der Spezies zur physischen Umwelt (vgl. Promp, 1990, S.25 ff.). Somit läßt sich der Mensch "als Schnittpunkt zwischen holarchischem und sozialem System bezeichnen (...)" (ebd., S.28).

Als weitere Annahme versucht Promp, über die theoretische Betrachtung von Homologien und Analogien zu zeigen, daß durch das Zusammenwirken von interkulturellen Vergleichen beim Menschen und zwischenartlichen Vergleichen im Tierreich (bzw. Tier-Mensch-Vergleichen) durchaus "Generalisierungen biologischer Verhaltensgesetzmäßigkeiten" (ebd., S.31) möglich sind. Über derartige Artenvergleiche ließe sich nach Promps Ansicht anscheinend auf das menschliche Verhalten bzw. die menschliche Natur schließen (vgl. ebd., S.29-32). Aus dieser Argumentation, die an dieser Stelle auf Grund ihrer Komplexität nicht näher dargelegt werden soll, rechtfertigt Promp seine Betrachtung der Erkenntnisse der Ethologie und deren Auswertung für sein Konzept.

Den wohl schwerwiegendsten Einwand gegen diese biosoziologischen Grundannahmen versucht Promp schon zu Beginn seiner Ausführungen selbst zu widerlegen: Es handelt sich dabei um die Frage, ob wirklich alle allgemeinen biologischen Gesetzmäßigkeiten für den Menschen gelten, oder ob der Mensch eine Art Sonderschöpfung darstellt. Promp argumentiert an dieser Stelle folgendermaßen:

"Soll der Mensch eine Sonderschöpfung sein, dann muß man zeigen können, daß er auf keinen Fall das Produkt stammesgeschichtlicher Entwicklung ist oder daß Evolution nicht stattgefunden haben kann. Nun sind aber die Übereinstimmungen mit bestimmten anderen Arten von Lebewesen groß. Aufgrund dieser Übereinstimmungen wird er in der Biologie nach immer spezielleren Gemeinsamkeiten als tierischer Organismus, als Wirbeltier, Säugetier, Primat und Hominoide klassifiziert. Erst auf der Ebene der Gattung (Homo, mit einer einzigen rezenten Art: Homo sapiens) tritt uns das spezifisch Menschliche entgegen." (ebd., S.23).

Somit wird der Mensch sowohl als Lebewesen als auch als stammesgeschichtlich aus anderen Arten hervorgegangen bezeichnet. Die letzte Möglichkeit, daß der Mensch eine Sonderstellung in der Stammesgeschichte innehaben könnte, soll allerdings etwas eingehender betrachtet werden. Nach Promps Argumentation müßten in diesem Fall bestimmte Gesetzmäßigkeiten außer Kraft gesetzt sein, die z.B. für andere Wirbeltiere gelten. Promp führt an, daß ein derartiger Nachweis noch nicht erbracht werden konnte (vgl. ebd., S.24). Sollte jedoch

"mit Sonderstellung aber gemeint (sein), für den Menschen seien alle biologischen Gesetzlichkeiten gültig, die für seinen Stamm gefunden wurden, darüber hinaus aber noch spezielle gattungs- bzw. artspezifische, dann ist aus biologischer Sicht nichts dagegen einzuwenden. In diesem Sinn hat praktisch jede Spezies eine Sonderstellung dadurch inne, daß sie sich von anderen Arten derselben Gattung unterscheidet." (ebd., Hervorhebung im Original).

Aus dieser Argumentation ergibt sich für Promp, daß "(...) der Mensch als Produkt der stammesgeschichtlichen Evolution erscheint, das in der zoologischen Systematik seinen Ort hat" (ebd., S.25).

An dieser Stelle stellt sich ein weiteres grundlegendes Problem des biosoziologischen Ansatzes von Promp: Es gelingt Promp zwar, drei mögliche Hypothesen über eine Sonderstellung des Menschen zu widerlegen. Allerdings stellt sich hier trotzdem die Frage, ob damit nicht eine Möglichkeit stillschweigend übergangen wurde: Es wäre doch zumindest denkbar, daß die spezielle artspezifische Entwicklung des Menschen sich soweit von seinen nächsten Verwandten, den Primaten, entfernt hat, daß doch bestimmte biologische Gesetzmäßigkeiten für ihn nicht gültig sind, die für andere Säugetiere oder auch für Primaten gültig sind. In diesem Falle hätte der Mensch eine besonders weitgehende evolutionäre Entwicklung hinter sich gebracht. Betrachtet man die Entwicklungen, die im Laufe der stammesgeschichtlichen Entwicklung im Bereich des Tier-Mensch-Übergangsfeldes [4] eine Rolle spielen, so läßt sich feststellen, daß diesen Entwicklungen zum Teil immense Bedeutung zukommt (z.B. der Ausdifferenzierung des Gehirns oder der Entstehung der Sprache). Vor diesem Hintergrund läßt sich feststellen, daß die Menschwerdung ein sehr komplexer Prozeß ist, in dessen Verlauf sich viele, für uns noch nicht annähernd nachvollziehbare Entwicklungen ergeben haben können. [5] An dieser Stelle läßt sich außerdem schon andeuten, daß auch Tier-Mensch-Vergleiche durchaus in Frage gestellt werden können, solange man noch nicht einmal mit völliger Gewißheit die Unterschiede zwischen Tier und Mensch identifizieren kann.

Als Fazit läßt sich auch hier festhalten, daß die Grundlagen des biosoziologischen Ansatzes in bestimmten Punkten durchaus in Frage gestellt werden können.

 

Sozialisation als ontogenetischer Prozeß (2.3)

Für eine weitere Diskussion ist es an dieser Stelle angebracht, zunächst tiefer in das Theoriegebäude des biosoziologischen Konzeptes einzuführen: [6] Als Grundlage für die Auswahl noch folgender biologischer Modelle weist Promp argumentativ nach, daß auch beim Menschen im Laufe der Stammesgeschichte Verhaltensmerkmale durch Selektion ausgelesen werden. Dies geschieht ganz im Sinne der Selektionstheorie Darwins [7]:

"Kann der Organismus in seiner Umwelt überleben und pflanzt er sich fort, dann bleiben die Gene, die sein Nervensystem aufgebaut haben, in der nächsten Generation erhalten." (Promp, 1990, S.36)

Um dies zu ermöglichen, besitzt der Mensch nach Promp eine Biogrammatik [8], die als System von epigenetischen Regeln [9] "in den stammesgeschichtlich älteren Hirnteilen codiert ist" (ebd., S.42). Trotzt der stammesgeschichtlich bedeutenden Weiterentwicklung des Neocortex, des Großhirns, sind diese "stammesgeschichtlich älteren Strukturen auch beim Menschen voll funktionsfähig vorhanden (...)" (ebd., S.46), so daß "(d)as tatsächliche Verhalten eines jeden Menschen (...) immer auf einer integrierten Gesamtleistung seines Gehirns (beruht)" (ebd., Hervorhebung durch Promp). Über die Betrachtung des ethologischen Instinktbegriffes gelangt Promp zur Beschreibung hierarchisch geordneter Instinkte (vgl. ebd., S.50-52). Verlieren solche hierarchischen Ordnungen ihre strenge Linearität, so daß auch Teilakte von Instinkthandlungen ablaufen können, entsteht ein Netzwerk, das aus Relativen Stimmungshierarchien besteht [10] (vgl. ebd., S.52-54). Dieses "arttypische Steuersystem, das in Form 'Relativer Stimmungshierarchien' eine große Zahl möglicher Konkretionen des Verhaltens zuläßt, legt sich je individuell auf eine gruppenspezifische und umweltangemessene Auswahl konkreter Verhaltensmuster fest. (...) Entscheidend wichtig ist, daß das System der 'Relativen Stimmungshierarchien' nicht festgelegt wird, sondern dies eine Eigenleistung des Systems darstellt (...)" (ebd., S.82, Hervorhebungen durch Promp) [11]. Aus der Erkenntnis, das sich "im Laufe der Ontogenese (dieses) Steuersystem (des menschlichen Verhaltens, M.L.) durch spezifische Erfahrungen selbst zu 'justieren scheint' (ebd., S.81; Satzbau verändert), und daß das System der Relativen Stimmungshierarchien "mehrmals im Verlaufe der Ontogenese (Gleichgewichtszustände) erreicht (...)" (ebd., S.91) und auch wieder aufgibt, entwickelt Promp ein Modell der ontogenetischen Entwicklung, das er nach entwicklungspsychologischem Vorbild in sechs 'Reifephasen' einteilt. Dabei gibt es nach Promp Organisationsphasen und Konsolidierungsphasen [12] (vgl. ebd., S. 92).

In der ersten Organisationsphase nach der Geburt, der 'Säuglingszeit', ist die endogene Entwicklung des Kindes unter anderem durch Brustsuchen, Saugen, Lächeln, Sprachbeginn, Entwicklung der Fortbewegung und Schließmuskelkontrolle gekennzeichnet, wobei gleichzeitig von der Umwelt das Vorhandensein von Nahrung, Wärme, Ansprache und Zuwendung einer 'Dauerpflegeperson' als exogenes Angebot erwartet wird (vgl. ebd., S.110, Abb.13). Die folgende Konsolidierungsphase, die dem Kleinkindalter entspricht, wird auch als 'Spielalter' bezeichnet:

"Da das Kleinkind in dieser Phase weitgehend von biologischen Ernstvollzügen entlastet ist, kann es im spielerischen Umgang mit den natürlichen Elementen seiner Umwelt (...) mehr lernen als es zum unmittelbaren Lebensvollzug benötigt. (...) Hier hat der Organismus demgegenüber Zeit und Muße, in Form 'Relativer Stimmungshierarchien' neue Verhaltens- und Erfahrensmuster in bezug auf seine Umweltsituation aufzubauen." (ebd., S.96)

Die darauf folgende zweite Organisationsphase (Erster Gestaltwandel) ist gekennzeichnet durch Entwöhnung, eine Änderung des äußeren Erscheinungsbildes, dem beginnenden Zahnwechsel, mehr Selbständigkeit des Kindes und einer Störung des seelischen Gleichgewichts als Folge der Entwöhnung von der Mutter (vgl. ebd., S.98). Als Organisationsphase ist dieser Erste Gestaltwandel dadurch gekennzeichnet, daß "(w)ieder (...) neue Antriebe in das System der bestehenden integriert werden (müssen), wieder (...) neue Wahrnehmungsschablonen auf(treten), die die Umwelt in neuem Licht erscheinen und neue Inhalte und Zusammenhänge erfahrbar und erlebbar werden lassen" (ebd.). In der folgenden Konsolidierungsphase der 'Späten Kindheit' hat sich das exogene Angebot vom familiären Umfeld auf Peers, Lehrer, etc. ausgeweitet. Auf der Seite der endogenen Entwicklung zeichnet sich diese Phase durch Wissenserwerb und neue kognitive Strukturen aus. Die vorletzte Phase der 'Pubertät' wird "als die wohl tiefgreifendste Umorganisation der 'charakterbildenden Verspannungssysteme' angesehen" (ebd., S.101), die als letzte Organisationsphase durch eine Erweiterung der anzueignenden Umwelt auf Großgruppen des Ökosystems sowie durch 'Suche nach Vorbildern' und eine 'ausgesprochene Vorurteilsbereitschaft' gekennzeichnet ist (vgl. ebd., S.100). Den Abschluß dieses ontogenetischen Entwicklungsprozesses bildet die Konsolidierungsphase der 'Adoleszenz', in der die phasenweise zunehmende Selbständigkeit ihren Abschluß findet, und in der das Individuum die wirtschaftliche Basis für die Fortpflanzung erlangen soll (vgl. ebd., S.110, Abb.13). Abschließend weist Promp im Vergleich mit einem Wechselwirkungsmodell noch einmal darauf hin,

"daß 'Faktor A' (der Anlage-Faktor in Promps Modell im Gegensatz zum Umwelt-Faktor, M.L.) nicht als statische genetische Anlage oder auch nur statisches angeborenes Antriebssystem aufzufassen ist, sondern als ein ontogenetisch nach epigenetischen Regeln sich in 'Relative Stimmungshierarchien' ausfaltendes Antriebssystem, das aufgrund seiner Beschaffenheit von sich aus die Ausrichtung an der vorgefundenen Umwelt erstrebt und betreibt." (ebd., S.114, Hervorhebung durch Promp)

Nach dieser Vorstellung des biosoziologischen Sozialisationsansatzes von Detlef Promp soll im folgenden Abschnitt der Versuch unternommen werden, zunächst auf grundsätzliche Kritikpunkte des Konzeptes hinzuweisen.


Kritik des biosoziologischen Ansatzes (3)

Betrachtet man zunächst die Modelle, auf denen Promp die Grundargumentation seines Ansatzes aufbaut, so läßt sich feststellen, daß gerade die verhaltensbiologisch orientierten Modelle, wie z.B. das psychohydraulische Instinktmodell nach Konrad Lorenz (vgl. Promp, 1990, S.47) (auch Modell zur doppelten Quantifizierung genannt) oder das Modell der Instinkthierarchie nach Niko Tinbergen (vgl. ebd., S.49) ursprünglich am Verhalten von Tieren entwickelt worden sind [13]. Daß sich aus diesem Umstand wiederum Fragen nach der Übertragbarkeit derartiger Modelle auf das menschliche Verhalten ergeben, ist oben schon bei der Behandlung von Mensch-Tier-Vergleichen angesprochen worden und soll in diesem Zusammenhang nicht weiter diskutiert werden. Das Problem, daß sich für den Leser jedoch aus diesem Sachverhalt ergibt, ist, daß er jedes Modell immer wieder kritisch in diesem Zusammenhang hinterfragen muß. [14]

Ansonsten muß an dieser Stelle erwähnt werden, daß sich Promp auf die zu seiner Zeit aktuellen Erkenntnisse der Biologie stützt [15]. Akzeptiert man als Leser jedoch die im vorigen Kapitel aufgeführten Grundannahmen der Biosoziologie erst einmal, ist es sehr schwer, Lücken oder Fehler in Promps Gedankengang zu finden, da sich durch die Erkenntnisse der biologischen Teildisziplinen eine Argumentationskette ergibt, deren einzelne Hypothesen aufeinander aufbauen bzw. sich zwangsläufig auseinander ergeben. Auf eine derartige Kritik muß also an dieser Stelle verzichtet werden, nicht aber auf die Darstellung eines Nebeneffektes dieser Argumentationsweise: Promps Theoriegebäude ist derart auf die Argumentation in biosoziologischer Weise 'festgeschrieben', daß es ihm so gut wie unmöglich ist, Gedankengänge weiterzuentwickeln, die nicht mehr durch einen sich ergebenden Selektionsvorteil abgesichert sind. Als Beispiel soll an dieser Stelle folgende Textstelle zitiert werden:

"Da solche Beziehungen für Frauen, Fortpflanzungswilligkeit vorausgesetzt, kaum interessant sind, die weibliche Gunst aber eine conditio sine qua non für die Fortpflanzung der Männer ist - außer man greift zum Mittel der Vergewaltigung -, müssen die Männer sich den weiblichen Wünschen beugen und die Bereitschaft zur Beteiligung an der Aufzucht des gemeinsamen Nachwuchses signalisieren. In dem Maße, wie die materielle Versorgung von Mutter und Kind wesentlicher Aspekt dieser Beteiligung ist, muß der junge Mann zunächst einmal die wirtschaftliche Basis für eine Familiengründung erwerben, um überhaupt als Fortpflanzungspartner attraktiv zu sein." (Promp, 1990, S.101 f.)

An dieser Stelle zwingt die biosoziologische Argumentationsweise Promp, auf neuere gesellschaftliche Entwicklungen wie z.B. den Tatbestand, daß heute Frauen die Rolle der Erwerbstätigen vermehrt übernehmen, nicht einzugehen, geschweige denn sie erklären zu können. Desweiteren reduziert Promp an dieser Stelle den Aufbau einer Beziehung auf natürlich-ökonomische Überlegungen. [16]

Zusammenfassend läßt sich also noch einmal herausstellen, daß Promps Theorie auf argumentativer Basis sehr gut ausgearbeitet ist, daß aber sein Konzept auf die Akzeptanz bzw. die Erkenntnisse der Evolutions- und Verhaltensbiologie angewiesen ist, wodurch sich Promps eigener Argumentationsspielraum erheblich einschränkt.

Bevor eine etwas differenziertere Kritik des biosoziologischen Ansatzes durch Vergleich mit anderen Theorien erfolgen kann, soll zunächst als eine der Hauptfragen dieser Arbeit geklärt werden, inwieweit man überhaupt in bezug auf den biosoziologischen Ansatz von einer Sozialisationstheorie sprechen kann.

 

Beurteilung aufgrund der Anforderungen an eine Sozialisationstheorie (4)

Nach Tillmann "habe (eine Sozialisationstheorie, M.L.) das Verhältnis zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen zu erklären, müsse systematisch die onto­genetische Dimension des Lebenslaufs berücksichtigen und soll von einem aktiv-aneignenden Subjekt ausgehen" (Tillmann, 1989, S.22). Auf Promp bezogen läßt sich feststellen, daß er in seinem biosoziologischen Ansatz von der "(...) aktive(n) Auswahl und Verarbeitung des Umweltangebots als Eigenleistung des Heranwachsenden (...)" (Promp, 1990, S.115, vgl. auch S.106 u. S.117) [17] ausgeht. Auf die Forderung, daß "die Genese der Persönlichkeit im Sozialisationsprozeß zugleich auf Vergesellschaftung und Individuierung hinausläuft" (Tillmann, 1989, S.12) läßt sich in Hinblick auf Promp jedoch nur sagen, daß er diese Forderung in seine Ausgangsthese von Sozialisation mit aufnimmt (vgl. Promp, 1990, S.12), ansonsten allerdings nicht weiter (etwa im Sinne von Tillmann, 1989, S.125) darauf eingeht. Was die Berücksichtigung des Phasenmodells des Sozialisationsprozesses (vgl. Tillmann, 1989, S.21, Abb.2) anbetrifft, so dürfte Kapitel 2.3 dieser Arbeit eingehend deutlich gemacht haben, daß Promps Ansatz ontogenetisch orientiert ist. Betrachtet man jedoch das zu füllende (vgl. Tillmann, 1989, S.17 f.) Strukturmodell der Sozialisationsbedingungen [18], so beschränkt sich Promps Ansatz auf die Beschreibung bzw. 'Füllung' der Mikroebene der Sozialisation, häufig sogar auf die Subjektebene. Obwohl natürlich in Promps Ansatz auch Elemente der anderen Bereiche genannt werden [19], so liegt doch das Hauptinteresse dieses Ansatzes deutlich auf der Mikroebene. [20] Besonders deutlich fällt jedoch auf, daß gesellschaftliche Prozesse bei Promp nur geringe Beachtung finden, und daß, wenn schon Gruppen wie Familie, Peer-groups, etc. genannt werden, in diesem Zusammenhang keine weiteren Soziali­sationswirkungen analysiert werden (vgl. Promp, 1990, S.104). Ansonsten läßt sich noch zusammentragen, daß Promp versucht, insoweit ihm das möglich ist, seine Thesen durch biologische "Daten" abzusichern, ein umfassendes Konzept zu ent­werfen und seine Gedanken nachvollziehbar darzulegen (vgl. Tillmann, 1989, S.29). Man muß jedoch auch kritisch anmerken, daß Promp nicht darauf hinweist, daß es sich bei seinem Konzept nur um eine Konstruktion und nicht um die Wirklichkeit handelt (vgl. ebd.). Außerdem stellt Promp seinem Ansatz nur ein Modell kritisch gegenüber ('Wechselwirkungsmodell', vgl. Promp, 1990, S.112 ff.). An dieser Stelle soll daher auch durch einen Vergleich des biosoziologischen Ansat­zes mit anderen Theorieansätzen im folgenden Kapitel angeknüpft werden.

Abschließend läßt sich jedoch feststellen, daß man Promps biosoziologischen Ansatz im Sinne Tillmanns nicht als Sozialisationstheorie bezeichnen kann, da er die Makroebene der Sozialisation stark vernachlässigt. Aus gleichem Grund werden von Tillmann ja auch weder die psychologischen [21] (vgl. Tillmann, 1989, S.98), noch die soziologischen [22] (vgl. ebd., S.182) Basistheorien für sich allein genommen als Sozialisationstheorien anerkannt.

 

Vergleich mit anderen Sozialisationstheorien (5)

Vergleich mit psychologischen Basistheorien (5.1)

Im Vergleich mit psychologischen Basistheorien fallen in erster Linie Gemeinsamkeiten mit Promps biosoziologischem Ansatz auf: So vergleicht Promp in bezug auf Lorenz und Leyhausen die Selbstregulation des Antriebssystems mit einem Parlament, wobei

"Verstand und Erfahrung (...) sozusagen die 'Sachverständigenausschüsse' des Triebparlaments (bilden), hier wird die Situation 'durchberaten' und das Ergebnis wird als kurzes Gut­achten wieder an das Parlament zurückgegeben, das nunmehr seine Entscheidung treffen kann" (Leyhausen, 1952, S.62).

Im Laufe seiner weiteren Argumentation führt Promp aus, daß dabei

"die Erfordernisse der Situation und die Interessen des Organismus miteinander in Einklang gebracht (werden), wobei es von der Situation, den verfügbaren Erfahrungen und vom Zustand des Antriebsgefüges abhängt, wie der 'Verhaltenskompromiß' im einzelnen jeweils aussieht" (Promp, 1990, S.62).

An dieser Stelle drängt sich unweigerlich der Vergleich mit Freuds Instanzenmodell auf, mit dem Freud die Dynamik des psychischen Apparates als Vermittlung der 'Ich-Instanz' zwischen den Triebansprüchen des 'Es', den Moralanforderungen des 'Über-Ich' und den Anforderungen der Realität beschreibt (vgl. Tillmann, 1989, S.57 ff.). Promp scheint also Freuds Vorstellungen des psychischen Apparates in biologischer Weise zu beschreiben, wobei er aus diesem Modell eines Parlaments ableitet, daß Entscheidungen in Notsituationen je nach Gefährlichkeit der Situation immer mehr von instinktiven Verhaltensweisen gesteuert werden (vgl. Promp, 1990, S.62). Vergleicht man jedoch die Beschreibung der psychosexuellen Entwicklung, so ordnet Promp endogene Entwicklungen wie Saugen oder die Schließmuskelkontrolle der Organisationsphase der Säuglingszeit zu (vgl. ebd., S.92 u. S.95), wohingegen Freud diese Organisationsphase differenzierter und genauer betrachtet (vgl. Tillmann, 1989, S.60 f.). Auf diese Weise gelangt Freud auch zu einer geschlechtsspezifischen Betrachtung der ödipalen Situation (vgl. ebd., S.62 ff.), die von Promp nur am Rande angesprochen wird:

"Was bleibt, ist eine kurze Periode besonderer Eifersucht auf den Vater bei mehr oder weniger starker Abwehr durch die Mutter, was Freud zu seiner Theorie der 'ödipalen Phase' angeregt haben dürfte" (Promp, 1990, S.97).

An dieser Stelle soll auch angeführt werden, daß Erklärungen für das Auftreten kritischer Perioden in der Ontogenese, die Promp als Phasen der Umorganisation beschreibt (vgl. Promp, 1990, S.67), sowohl durch den psychoanalytischen Ansatz ("Ontogenese als einer Abfolge von Reifungskrisen", Tillmann, 1989, S.68), als auch durch den kognitionspsychologischen Ansatz (vgl. ebd., S.84 u. S.88), durch Eriksons psychologisches Konzept (vgl. ebd., S.202 f. u. S.208 f.) und durch den theorieverbindenden Ansatz von Habermas gegeben werden (vgl. ebd., S.218 u. S. 224). Außerdem werden Parallelen in Promps Argumentation zur kognitionspsychologischen Theorie (vgl. Promp, 1990, S.92 u. Anm. 40, 41 u. 68 zu Kap.3, und auch in bezug auf die von Piaget beschriebenen Stufen der kognitiven Entwicklung: Anm. 68, 77 u. 95 zu Kap.3) und zum lerntheoretischen Ansatz sichtbar (vgl. Promp, 1990, S.66 ff.) [23].

Es läßt sich also festhalten, daß es übereinstimmende Momente zwischen dem ontogenetischen Ansatz von Promp und verschiedenen psychologischen Basistheorien gibt. Die einzelnen Basistheorien gehen jedoch sehr viel ausführlicher auf ihre jeweiligen Gegenstandsbereiche ein.

 

Vergleich mit soziologischen Basistheorien (5.2)

In bezug auf soziologische Basistheorien läßt sich zunächst bei Promp nur eine Ähnlichkeit zwischen seinem Ansatz und den Grundannahmen des struktur-funktionalen Ansatzes von Parsons feststellen: So benutzt auch Promp den Vergleich mit dem System des menschlichen Körpers (vgl. Promp, 1990, S.25 mit Tillmann, 1989, S.110). Ansonsten entwickelt jedoch Promp aus seinen Grundannahmen über offen hierarchische Systeme (vgl. Kap. 2.2 dieser Arbeit) keinerlei Rollenkonzept. Promp setzt sich zwar intensiv mit dem Phänomen der Sprachentwicklung, der Sprache allgemein und verbaler bzw. non-verbaler Kommunikation auseinander (vgl. Promp, 1990, S.78), es gelingt ihm jedoch nicht, daraus eine Erklärung für Phänomene wie Rollen, Empathie, etc. zu entwickeln, wie sie z.B. der interaktionistische Ansatz bietet (vgl. Tillmann, 1989, S.135).

Abschließend soll an einem Zitat aus seinem biosoziologischen Ansatz Promps Grundhaltung zu gesellschaftlichen Theorien noch einmal deutlich gemacht werden, wodurch jeder weitere Vergleich mit makrosoziologischen Theorien wie z.B. dem struktur-funtionalen oder dem marxistischen Ansatz sich an dieser Stelle erübrigt:

"Biosoziologische Sozialisationsforschung könnte die Einseitigkeit der 'schicht'orientierten Sozialisationsforschung aufheben, die aus der Reduzierung der reichen menschlichen Umwelt auf wenige 'schichtspezifische' Merkmale in Verbindung mit dem Glauben an deren unmit­telbare Wirksamkeit resultiert, wobei die menschliche Natur als amorphe Masse den zu formenden Stoff abgibt." (Promp, 1990, S.117)

 

Vergleich mit theorieverbindenden Ansätzen (5.3)

Zum Vergleich soll an dieser Stelle kurz der Theorieverbund von Habermas angeführt werden: Von interaktionistischen Grundannahmen ausgehend entwickelt Habermas sein Konzept unter Einbezug des entwicklungslogischen Stufenmodells der kognitiven Psychologie (nach Piaget und Kohlberg) und des Konzepts der Reifungskrisen der Psychoanalyse (nach Freud und Erikson) und bindet diese Theorieelemente in eine marxistische Gesellschaftstheorie ein (vgl. Tillmann, 1989, S.214). Da auch Promp in sein Konzept durchaus Elemente anderer Sozialisationsansätze eingebunden hat (vgl. Punkt 5.1 dieser Arbeit), wäre auch in seinem Ansatz eine Berücksichtigung gesellschaftlicher Prozesse denkbar. Wenn Habermas sein Theoriegebäude auch nicht auf biologischen Grundlagen aufbaut, so gelingt es ihm trotz allem, gesellschaftliche Analyse und ontogenetische Perspektive zu verbinden:

"Indem er nach der Struktur und den Bewegungsgesetzen gegenwärtiger Gesellschaftsformationen fragt und diese Frage auch auf Sozialisationsprozesse bezieht, fügt er sein Modell der Ontogenese von Anbeginn in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang ein." (Tillmann, 1989, S.226)

Im Vergleich dazu bettet Promp sein ontogenetisches Modell jedoch in ein komplexes Ökosystem ein (vgl. Punkt 4 dieser Arbeit), was ihm jedoch trotzdem die Möglichkeit offen lassen müßte, soziale Systeme oder gesellschaftliche Prozesse als Teil dieses Ökosystems zu betrachten. Wie schon oben kritisiert, erfolgt eine derartige Betrachtung allerdings nur unter allgemeinen Umweltgesichtspunkten.


Einordnung und Kritik des biosoziologischen Ansatzes vor dem Hintergrund der Anlage-Umwelt-Problematik (6)

Für eine Einordnung des biosoziologischen Ansatzes nach Promp ist auch von Bedeutung, welchen Stellenwert dieser in der aktuellen Diskussion um Anlage- oder Umweltbedingtheit menschlicher Verhaltensweisen einnimmt. Da es an dieser Stelle unmöglich ist, den historischen Hintergrund der Anlage-Umwelt-Problematik aufzurollen, soll der aktuelle Stand der Forschung hier nur kurz dargestellt werden: In der Vergangenheit und auch heute gab bzw. gibt es Theoretiker, die auf die Vererbung (z.B. Galton, Burt, Bouchard, Watson, etc.) oder auf die Umweltbedingtheit (z.B. Lewontin, u.a.) menschlichen Verhaltens hinweisen (vgl. Horgan, 1993, S.76-83). In der letzten Zeit sind vor diesem Hintergrund besonders Zweifel in bezug auf die Zwillingsforschung aufgekommen: So äußert z.B. Leon J. Kamin begründete Zweifel an der Richtigkeit der Ergebnisse der Minnesota-Studie, die Ende der 70er Jahre von Thomas J. Bouchard jr. durchgeführt worden war und seitdem eine große Popularität besitzt, und die "(b)ei praktisch allen untersuchten Merkmalen und Eigenschaften (...) eine starke genetische Komponente ermittelt(e)" (Horgan, 1993, S.77). Als weiteren Punkt führt Horgan an, daß es meist sehr schwierig ist, ein Verhaltensmerkmal genetisch zu identifizieren, da die Marker für bestimmte Verhaltensweisen meist auf unterschiedlichen Genen liegen. Trotzdem beschäftigen sich nach Horgan zur Zeit mehrere Forschergruppen mit der Untersuchung abweichenden Verhaltens wie Alkoholismus, Kriminalität und ähnlichen Phänomenen. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß diese Gruppen bisher noch keine genetischen Bedingtheiten beweisen konnten [24], so daß mehrere Forschungsberichte in letzter Zeit immer wieder zurückgezogen werden mußten [25] (vgl. Horgan, 1993, S.82). Aus diesem Grund weist z.B. im Zusammenhang mit einem Gen für Alkoholismus

"der Harvard Biologe Richard C. Lewontin darauf hin, daß im allgemeinen Berichte etwa über die angebliche Entdeckung eines Alkoholismus-Gens sensationell aufgemacht, gegenteilige Ergebnisse oder die spätere Revision eines solchen vermeintlichen Befundes gar nicht beachtet würden. 'Skepsis macht keine Schlagzeilen', konstatiert Lewontin." (Horgan, 1993, S.77 f.)

Allerdings scheint sich in letzter Zeit ein neuer Trend zur Anlage-Hypothese abzuzeichnen. In diesem Zusammenhang gibt Horgan den folgenden Ausblick:

"Der Hauptgrund dafür, daß Vorstellungen der Eugenik [26] so beunruhigend wiederaufleben, sind jedoch die unerwartet raschen Erfolge bei der Kartierung des menschlichen Genoms und bei der Erarbeitung von Möglichkeiten, es zu manipulieren." (Horgan, 1993, S.76)

Vor diesem Hintergrund läßt sich vermuten, daß Modelle, die eher von der Anlagebedingtheit und Vererbung menschlicher Verhaltensweisen ausgehen, in nächster Zeit immer populärer werden könnten. Abschließend stellt sich an dieser Stelle die Frage, wie Promp mit seinem biosoziologischen Ansatz zu dieser Problematik steht. Betrachtet man dazu das Theoriegebäude des biosoziologischen Ansatzes (vgl. Punkt 2 dieser Arbeit), so erscheint dieser Ansatz auf den ersten Blick deutlich in Richtung Anlageorientiertheit zu tendieren. Dies wird durch ein Zitat unterstützt, das Promp seinem Ansatz voranstellt:

"The discussion of socialization had for many years, and to some extent still has, a polemical import. It has been another way of downgrading biological factors and emphasizing the de­pendence of man on social learning." (Jaeger u. Selznick, In: Promp, 1990)

Betrachtet man jedoch den biosoziologischen Ansatz von Promp genauer, so läßt sich feststellen, daß Promp selbst zur Anlage-Umwelt-Problematik Stellung nimmt:

"Es ist deshalb sinnlos zu fragen, ob Erbe oder Umwelt, angeborene Struktur oder die Reize der Außenwelt das Verhalten bestimmen. Tatsache ist, daß die Umwelt immer auf ein organi­sches Substrat einwirkt, das nach immanenten Gesetzen auf die Umwelt reagiert. Die Umwelt allein vermag ebensowenig wie die angeborenen Verhaltensdispositionen usw. allein sinnvol­les Verhalten hervorzubringen. Leben heißt immer leben in einem Organismus-Umwelt-System." (Promp, 1990, S.103, Hervorhebungen durch Promp; vgl. auch S.65 u. Anm. 41 zu Kap.2)

Da Promp in der Anlage-Umwelt-Diskussion also keine Extremposition einnimmt, ist diese Einstellung als durchaus vernünftig anzusehen. Promp scheint jedoch den Optimismus, der oben schon im Zusammenhang mit dem Genom-Projekt angesprochen wurde, zu teilen:

"Es ist immerhin denkbar, daß ein Teil der Kriminalität, der Suizide, der psychosomatischen Erkrankungen usw. auf den phylogenetischen Vorgaben nicht entsprechende Sozialisationsbedingungen zurückzuführen ist. Vielleicht könnte die genauere Kenntnis des menschlichen Verhaltenssystems und seiner ontogenetischen Entwicklung eines Tages dazu führen, daß dem Menschen nicht angemessene Sozialisationsbedingungen gezielt verbessert werden können." (Promp, 1990, S.33)

 

Zusammenfassung und abschließende Beurteilung (7)

Ausgehend von dem Anliegen, den Versuch einer Kritik und Einordnung des biosoziologischen Ansatzes von Detlef Promp zu unternehmen, wurden zunächst die Hauptthesen dieses Konzeptes vorgestellt, wobei sich herausstellte, daß sowohl die anthropologischen Grundlagen seiner Theorie als auch die Ausrichtung an der Verhaltensbiologie durchaus hinterfragt werden können. Dabei stellte sich das Problem, daß grundsätzlich eine Auswahl biologischer Modelle erfolgen muß. Da viele dieser Modelle an tierischem Verhalten entwickelt worden waren, stellte sich auch die Frage nach der Übertragbarkeit derartiger Modelle auf den Menschen (Tier-Mensch-Vergleiche). Bei der Betrachtung der Argumentationsstruktur wurde offensichtlich, daß sich viele Thesen logisch auseinander ableiten lassen, so daß man, wenn man die Grundannahmen der Biosoziologie akzeptiert, auch die meisten Schlußfolgerungen als richtig anerkennen muß. Gleichzeitig wurde jedoch herausgestellt, daß Promp durch derartige Grundmodelle, wie z.B. die Gen-Selektionstheorie des Verhaltens, seinen Argumentationsspielraum erheblich einschränkt (Punkt 3). Vor diesem Hintergrund wurde der biosoziologische Ansatz auf die Frage hin untersucht, ob er die Anforderungen an eine Sozialisationstheorie erfüllt, mit dem Ergebnis, daß er sich im Sinne Tillmanns nicht als Sozialisationstheorie bezeichnen kann. Im Vergleich mit anderen Basistheorien stellte sich heraus (Punkt 5), daß es durchaus Übereinstimmungen zu psychologischen Theorien gibt, obwohl Promps Ansatz den makrosoziologischen Bereich stark vernachlässigt. Daß eine Verbindung zwischen ontogenetischen Grundlagen und gesellschaftlichen Konzepten durchaus möglich ist, wurde am Beispiel des Habermasschen Theorieverbundes gezeigt. Abschließend wurde der biosoziologische Ansatz vor dem Hintergrund der Anlage-Umwelt-Diskussion beurteilt, wobei sich zeigte, daß ein biologisches Konzept in Zukunft durchaus die Grundlage für weitere Untersuchungen und Erklärungen menschlichen Verhaltens bieten könnte.

Um abschließend die Frage zu klären, ob Promp die Verbindung von Biologie und Sozialwissenschaften gelungen ist, soll noch einmal kurz zusammengefaßt werden:

Als Basis für sein Konzept wählt Promp die Verhaltensbiologie. Da sich aber Promps Thesen durchaus mit Aspekten psychologischer und soziologischer Basistheorien decken, werden beide Disziplinen, die es zu verbinden gilt, berücksichtigt. Kann man zwar unter sozialisationstheoretischen Gesichtspunkten nicht von einem vollständigen Sozialisationsansatz sprechen, ist trotzdem erstaunlich, wieviele Thesen, die zum Teil auch dazu geeignet sind, Aspekte der Basistheorien zu bestätigen, Promp aus biologischen Fakten ableiten kann. Vor diesem Hintergrund kann man Promps Versuch, Biologie und Sozialwissenschaften einander näherzubringen, durchaus für geglückt halten.

Zum Abschluß dieser Arbeit soll allerdings kurz auf einen Aspekt eingegangen werden, der in der Diskussion um die Soziobiologie eine entscheidende Rolle spielt: Nach Tillmann "wenden sich (die Implikationen des Sozialisationsbegriffs) entschieden gegen alle biologischen Auffassungen, die die Persönlichkeitsentwicklung allein oder weit überwiegend auf genetisch fixierte 'Anlage'-Faktoren und ihre 'Reifung' zurückführen wollen" (Tillmann, 1989, S.13). Da Promp in seinem Konzept jedoch die Wechselwirkungen zwischen den "organischen Voraussetzungen der menschlichen Entwicklung" (ebd.) und den Umwelteinflüssen betrachtet (vgl. ebd.), fällt er nicht mehr unter die oben beschriebene Ablehnung biologistischer Konzepte. Wie nahe er sich jedoch an einer biologistischen Auffassung befindet, zeigt sich daran, daß viele der von den 'Gegnern' der Soziobiologie (wie z.B. Lewontin u.a.) geäußerten Kritiken auch auf die Biosoziologie und somit auf den biosoziologischen Ansatz Promps zutreffen [27]. Daher werden zukünftige Theorien, die sich auf diesen biosoziologischen Ansatz stützen, diesen Konflikt immer 'im Auge behalten' müssen, wollen sie sich nicht zu sehr einer biologistischen Auffassung nähern.


Anmerkungen

[1] Vgl. auch Hernegger, 1989, S.30: "Gehlen, Portmann und viele andere, die die Evolutionstheorie mehr oder weniger ablehnten, taten sich schwer, die Entstehung des Menschen zu erklären. Die evolutionäre Anthropologie hingegen ist heute in der Lage, eine plausible Erklärung von der Entstehung des Menschen zu geben, die nicht im Gegensatz zu den übrigen Wissenschaften steht, sondern als interdisziplinäre Wissenschaft von ihnen gestützt und untermauert wird."

[2] An dieser Stelle soll erwähnt werden, daß es anscheinend auch heute noch notwendig ist, immer wieder auf kritische und nicht mehr zeitgemäße Punkte der philosophischen Anthropologie hinzuweisen: So argumentieren auch heute noch A.u.R. Kaiser im "Studienbuch Pädagogik", das mittlerweile die 6. Auflage erreicht hat, immer noch mit den gleichen Begriffen der philosophischen Anthropologie, wenn es um die Begründung der Erziehungsbedürftigkeit des Menschen geht, und erwähnen kritische Punkte dieser Anthropologie mit keinem Wort - trotz eines Unterthemas 'Anthropologie und Verhaltensforschung' -, sondern nehmen im Gegenteil sogar noch Begriffe wie 'Mängelwesen' in eine Lerntafel am Kapitelende auf (vgl. A.u.R. Kaiser, 1991, S. 18-23, 30-37).

[3] So gibt Hernegger folgende Disziplinen als Beipiele an: "Psychologie, Entwicklungspsychologie, Ethnologie, Sozialpsychologie, Mythenforschung, Religionswissenschaft, Vor- und Frühgeschichte, Archäologie, Paläontologie, Primatologie, Vergleichende Verhaltensforschung, Neurophysiologie, Sinnesphysiologie, Neurobiologie, Neuropsychologie, Vergleichende Anatomie" (Hernegger, 1989, S. 30).

[4] Als Tier-Mensch-Übergangsfeld (TMÜ) wird "(d)ie Zeit des Übergangs von der Werkzeugbenutzung zur Werkzeugherstellung bezeichnet (...)" (W. Miram u.a., 1988, S.432). Zum TMÜ werden heute meist die Menschenaffen (Orang-Utan, Gorilla, Schimpanse) sowie die Australopithecinen gerechnet.

[5] An dieser Stelle soll, um diese Komplexität aufzuzeigen, auf eine biologische Theorie zur Menschwerdung eingegangen werden, auf die sich Donald Johanson in seinem Buch 'Lucy - Die Anfänge der Menschheit' bezieht. Johanson wiederum beruft sich auf einen Vortrag des Bewegungsanatomen C. Owen Lovejoy. Nach Lovejoy entwickelte sich der aufrechte Gang des Menschen im Rahmen einer Entwicklung, bei der sich acht Faktoren durch gegenseitige Rückkopplungsprozesse beeinflußten. Diese Faktoren waren die Entstehung der elterlichen Fürsorge, die Entwicklung der Intelligenz und somit auch die Entwicklung des Gehirns, die Reduzierung der Zahl der Nachkommen, die Verlängerung der Kindheit, die Entwicklung des Spiels, die Bildung von Gruppen und die Entwicklung des sozialen Verhaltens (vgl. Johanson, 1989, S.383-425). Nimmt man zu diesen, sich wechselseitig beeinflussenden Faktoren noch die Sprachentwicklung, Werkzeugentwicklung, Entwicklung der Monogamie und Arbeitsteilung hinzu, dürfte einsehbar sein, daß die Menschwerdung eine hochkomplexe Entwicklung war.

[6] Auf Grund der immensen Komplexität des Ansatzes wird es jedoch an dieser Stelle nötig, sich ganz auf die Hauptthesen Promps zu konzentrieren.

[7] "Schon Darwin hat die Ansicht vertreten, daß es individuell invariable, artkennzeichnende Verhaltensweisen gibt, die genau wie Organe vererbt werden und genau wie diese der natürlichen Zuchtwahl unterliegen" (Darwin, 1967, S.337 ff.).

[8] Promp versteht unter 'Biogrammatik' "das universelle Muster (...), nach dem menschliches Zusammenleben sich trotz aller kulturellen Unterschiede regelt und das letztlich im Erbgut der Art Homo sapiens verankert ist" (Promp, 1990, S.41).

[9] Epigenetische Regeln "beschreiben die Prinzipien, nach denen die Sprache des Verhaltens funktioniert, auch wenn sie nicht mit Sicherheit vorherbestimmen können, wie sich ein Individuum im Einzelfall verhält" (ebd.).

[10] Da eine ausführliche Behandlung der Instinktmodelle der Ethologie den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, kann an dieser Stelle nicht näher auf diesen Sachverhalt eingegangen werden.

[11] Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich Promp auch eingehend mit 'Intelligenz' und 'Lernen', worauf ebenfalls an dieser Stelle nur hingewiesen werden kann.

[12] Eine Konsolidierungsphase "ist durch bloßes Wachstum gekennzeichnet und dauert bis zur nächsten dramatischen Umorganisation (also bis zur nächsten Organisationsphase, M.L.)" (Promp, 1990, S.92).

[13] So ist z.B. das Modell der Instinkthierarchie am Fortpflanzungsverhalten des männlichen Stichlings untersucht worden (vgl. Promp, 1990, S.49).

[14] So ist zunächst auch nicht immer klar zu unterscheiden, wann Promp in konkreten Situationen von tierischem und wann von menschlichem Verhalten ausgeht: Als Beispiel für derartig unklare Textstellen soll hier die Darstellung einfacher Lernvorgänge dienen (ebd., S.66).

[15] Dies wird besonders im zweiten Kapitel seines Ansatzes deutlich, in dem sich Promp auf Erkenntnisse der Soziobiologie, Neurobiologie und Ethologie stützt (vgl. ebd., S.35-52).

[16] Selbst wenn man Promp zugute hielte, daß sich diese Textstelle ausschließlich auf die stammesgeschichtliche Entwicklung vom Primaten zum Menschen bezöge, so muß man doch anmerken, daß Lovejoy, der sich auch mit diesem "Übergangszustand" auseinandergesetzt hat, bereits erkannt hat, daß wohl auch Liebe in der Partnerwahl eine grundsätzliche Rolle spielt (vgl. Johanson, 1989, S.418).

[17] Widersprüchlich dazu jedoch: "Im Sozialisationsprozeß stellt sich das menschliche Verhaltenssystem auf die ökologischen Bedingungen, die es vorfindet, so ein, daß der Mensch in seiner Umwelt (...) lebensfähig bleibt und fortpflanzungsfähig wird." (Promp, 1990, S.107)

[18] Es untergliedert den Sozialisationsprozeß in vier Ebenen: Auf dem untersten Level befindet sich das Individuum, auf dem nächsthöheren die Interaktionen und Tätigkeiten (zusammen als Mikroebene des Sozialisationsprozesses bezeichnet). Darüber bilden die Institutionen und die Gesamtgesellschaft als höchste Instanz die Makroebene (vgl. Tillmann, 1989, S.17, Abb.1).

[19] Besonders deutlich wird dies an der schematischen Übersicht über den ontogenetischen Sozialisationsprozeß (vgl. Promp, 1990, S.110, Abb.13) oder den Selektionsbeschreibungen in Ökosystemen (vgl. ebd., S.36).

[20] So werden z.B. Institutionen nur randweise angesprochen (vgl. Promp, 1990, S.73 u. 108).

[21] Betrifft den psychoanalytischen, lerntheoretischen und kognitionspsychologischen Ansatz.

[22] Betrifft den strukturfunktionalen, marxistischen und interaktionistischen Ansatz.

[23] Allerdings erweist sich durch die Benutzung ethologischer Begriffe die Beschreibung von Lernvorgängen bei Promp als sehr viel komplizierter als die entsprechenden Beschreibungen des lerntheoretischen Ansatzes (vgl. dazu Tillmann, 1989, S.72 ff.). Außerdem geht Promp auf Verstärkungslernen ein (vgl. Promp, 1990, S.69) und behandelt auch das Lernen am Modell (vgl. ebd., S.74), allerdings in sehr ungenauer, undifferenzierter Weise.

[24] Eine ausführliche Darstellung dieser kurz zusammengefaßten Ergebnisse findet sich im Artikel "Gene und Verhalten" aus der Zeitschrift 'Spektrum der Wissenschaft', der vom Redaktionsmitglied John Horgan verfaßt wurde (Horgan, 1993, S.76-83).

[25] Einzige Ausnahme bildet eine Untersuchung, die angeblich einen Marker für überdurchschnittliche Intelligenz lokalisiert hat.

[26] Der Begriff Eugenik geht auf die Idee Galtons zurück, "die menschliche Gesellschaft ließe sich durch 'bessere Zucht' verbessern (Horgan, 1993, S.79). Diese Idee wurde im Laufe der Geschichte mehrfach aufgenommen und z.B. von den Nationalsozialisten "mit (...) unerbittlicher Konsequenz und Menschenverachtung praktiziert" (ebd.).

[27] Vgl. dazu: "Es ist die Art der Erklärung selbst, die so ungeheure Attraktivität entfaltet. Die zentrale Behauptung der Soziobiologie lautet, daß alle Aspekte menschlicher Kultur und menschlichen Verhaltens genauso wie das tierische Verhalten in den Genen kodiert sind und durch natürliche Auslese ausgeprägt wurden. (...) Die akademische und populäre Attraktivität der Soziobiologie rührt direkt aus ihrem einfachen reduktionistischen Programm (...) her (...)" (Lewontin u.a., 1988, S.192).

 

Literatur

Darwin, Ch.: Die Entstehung der Arten, Stuttgart 1967

Eggers, Ph. u. Steinbacher, F.: Pädagogische Soziologie, Bad Heilbrunn 1979

Griese, H.M.: Soziologische Anthropologie und Sozialisationstheorie, Weinheim, Basel 1976

Hernegger, Rudolf: Anthropologie zwischen Soziobiologie und Kulturwissenschaft: die Menschwerdung als Prozeß der Selbstbestimmung und der Selbstbefreiung von den Determinismen der Gene und Umwelt, 1.Aufl., Bonn 1989

Horgan, John: Gene und Verhalten. In: Spektrum der Wissenschaft, August 1993, Jg. 1993, H.8, S.76-83

Hurrelmann, Klaus: Sozialisation und Lebenslauf, Reinbek 1976

Johanson, Donald: Lucy: Die Anfänge der Menschheit, Frankfurt/m.; Berlin 1989

Kaiser, Arnim u. Ruth: Studienbuch Pädagogik: Grund- und Prüfungswissen, 6.Aufl., Frankfurt am Main 1991

Koestler, A.: Der Mensch - Irrläufer der Evolution, Bern 1978

Lewontin, Richard, u.a.: Die Gene sind es nicht...: Biologie, Ideologie und menschliche Natur, München 1988

Leyhausen, P.: Das Verhältnis von Trieb und Wille in seiner Bedeutung für die Pädagogik, 1952, In: Lorenz, K. & P. Leyhausen: Antriebe tierischen und menschlichen Verhaltens, S. 54-76, München 1968

Miram, W. u. Scharf, K.-H. (Hrsg.): Biologie heute SII, Hannover 1988

Mühlbauer, K.R.: Sozialisation, München 1980

Promp, Detlef W.: Sozialisation und Ontogenese: ein biosoziologischer Ansatz, Berlin; Hamburg 1990

Tillmann, Klaus-Jürgen: Sozialisationstheorien. Eine Einführung in den Zusammen­hang von Gesellschaft, Institution und Subjektwerdung, Hamburg 1989

 

© 1993 Michael Lenz

Kommentare

Please login to post comments or replies.